Die Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie in Österreich: Womit ist zu rechnen?
Bis zum 25.6.2023 sollen die Umsetzungsbestimmungen der VerbandsklagenRL in den EU-Mitgliedstaaten anwendbar sein. Österreich wird diese Umsetzungsfrist – wie auch mehrere andere EU-Mitgliedstaaten – nicht einhalten. Nachstehender Beitrag beschäftigt sich mit potentiellen Umsetzungsmöglichkeiten der VerbandsklagenRL durch den österreichischen Gesetzgeber.
Kollektiver Rechtsschutz und die VerbandsklagenRL
Bis zum heutigen Tag ist der kollektive Rechtsschutz in den EU-Mitgliedstaaten (“Mitgliedstaaten“) unterschiedlich geregelt. So finden sich auch im österreichischen Recht diverse Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes (Sammelklage österreichischer Prägung, Verbandsklage iSd § 29 KSchG, § 14 UWG). Aus diesem Grund ist eine einheitliche sowie effiziente Rechtsdurchsetzung von kollektiven Verbraucherinteressen unionsweit kaum möglich.
Die Richtlinie (EU) 2020/1828 über „Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher“ (“VerbandsklagenRL“), die Teil des sog. “New Deal for Consumers” ist, verfolgt nun das Ziel den kollektiven Rechtsschutz auf europäischer Ebene (und zu einem gewissen Grad auf nationaler Ebene) zu vereinheitlichen, wobei hervorzuheben ist, dass die VerbandsklagenRL keine Vollharmonisierung vorsieht.
Das Kernstück und eine wesentliche Neuerung der VerbandsklagenRL ist die “Abhilfe-Verbandsklage” (Art 3 Z 10). Dabei handelt es sich um eine echte kollektive Klage auf Leistung in Form von “Schadenersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises“, wobei die Leistung den Verbrauchern unmittelbar, dh ohne einen weiteren Prozess, zukommt (Art 9 Abs 6).
Status Quo der Umsetzung
Die VerbandsklagenRL trat am 24.12.2020 in Kraft und hätte bis zum 25.12.2022 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Bereits diese Frist wurde nur von einigen wenigen Mitgliedstaaten eingehalten. Bis 25.6.2023 müssen die nationalen Umsetzungsbestimmungen der VerbandsklagenRL in den Mitgliedstaaten in Kraft getreten und somit für die Rechtsunterworfenen anwendbar sein.
Der Umsetzungsprozess ist in den Mitgliedstaaten unterschiedlich weit fortgeschritten. Bis dato haben 16 Mitgliedstaaten ein Gesetz zur Umsetzung der VerbandsklagenRL erlassen. In anderen Mitgliedstaaten, wie Deutschland, liegt zumindest ein Regierungsentwurf vor. Ein Ministerialentwurf lässt in Österreich noch auf sich warten.
Mögliche Umsetzung der VerbandsklagenRL in Österreich
Wer ist umfasst?
Die VerbandsklagenRL stellt ausschließlich auf B2C-Verhältnisse ab (Art 2 Abs 1). Verbraucher iSd VerbandsklagenRL ist “jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit liegen” (Art 3 Z 1, Erwg 14). Ungeachtet dieser Beschränkung sind Mitgliedstaaten gemäß der VerbandsklagenRL weiterhin befugt, Bestimmungen der VerbandsklagenRL auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen (Erwg 18).
Dass sich häufig auch Unternehmen in verbraucherähnlichen Situationen befinden, wurde im Rahmen des deutschen Entwurfs zur Umsetzung der VerbandsklagenRL aufgegriffen. Demnach sind auch kleine Unternehmen, nämlich solche, die weniger als 50 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz/-bilanz 10 Millionen Euro nicht übersteigt, als Verbraucher anzusehen (§ 1 Abs 2 Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz “VDuG“). In der Literatur wird diese erstreckende Umsetzung zum Teil kritisiert, zumal dadurch Divergenzen zum Verbraucherbegriff des materiellen Rechts entstehen. So ändert die Annahme, dass kleine Unternehmen als Verbraucher iSd VDuG gelten, nichts daran, dass Unternehmer ansonsten nicht den Sonderbestimmungen des Verbraucherrechts unterfallen.
In Österreich sollte bereits im Rahmen der Zivilverfahrens-Novelle 2007 ein Gruppenverfahren eingeführt werden (“Ministerialentwurf 2007“). Obwohl die Bestrebungen scheiterten, bietet der Ministerialentwurf 2007 einen Indikator für eine mögliche Umsetzung der VerbandsklagenRL. Als Gruppenkläger iSd Ministerialentwurfes 2007 kamen “alle Personen, die im Gruppenverfahren Ansprüche geltend machen” in Frage (§ 629 70/ME 23.GP), wobei der Entwurf auf B2C-Verhältnisse abstellte (vgl Z1). Es ist vor diesem Hintergrund fraglich, ob auch Österreich eine erstreckende Umsetzung im Sinne des deutschen Entwurfs verfolgen wird, oder man die Anwendbarkeit der Abhilfe-Verbandsklage auf reine Verbraucheransprüche beschränkt.
Opt-in oder Opt-out?
Die VerbandsklagenRL stellt den Mitgliedstaaten frei ein Opt-in oder Opt-out Modell (oder eine Kombination [Erwg 43]) vorzusehen. Beim Opt-in müssen sich Verbraucher dem Verfahren aktiv anschließen. Opt-out (vgl amerikanische Class Action) umfasst alle Betroffenen, die nicht aktiv aus dem Verfahren hinausoptieren.
Der deutsche Entwurf sieht ein Opt-in Modell vor, wonach Verbraucher bis zum Ablauf von zwei Monaten nach dem ersten Termin am Abhilfe- oder Musterfeststellungsverfahren teilnehmen können (§§ 46 Abs 1, 44 Z 7 VDuG). Auch der Ministerialentwurf 2007 sah einen Opt-in Mechanismus vor (§ 624 70/ME 23.GP). Ferner basiert die Sammelklage österreichischer Prägung defacto auf dem Opt-in-Prinzip. Bei dieser müssen Geschädigte ihre Ansprüche an ein Klagevehikel zum Inkasso abgetreten werden; die Geschädigten müssen sich also aktiv an der Sammelklage beteiligen. Es liegt nahe, dass der österreichische Gesetzgeber auch bei der Umsetzung der VerbandsklagenRL diesem Mechanismus folgen wird.
Wie groß ist das Kollektivinteresse der Verbraucher?
Eine Verbandsklage iSd Richtlinie ist eine Klage zum Schutz der “Kollektivinteressen der Verbraucher” (Art 3 Z 5). Es ist den Mitgliedstaaten überlassen, wie viele Verbraucher ein solches Kollektivinteresse begründen (Erwg 12).
Der deutsche Entwurf sieht in § 4 Abs 1 VDuG vor, dass mindestens 50 Verbraucher betroffen sein müssen. Demgegenüber müssen in Polen lediglich 10 und in Luxemburg sogar nur 2 Verbraucher betroffen sein. Mit Blick auf den Ministerialentwurf 2007 mussten im Rahmen einer Gruppenklage zumindest 3 Personen auftreten und insgesamt mindestens 50 Ansprüche geltend gemacht werden. Die wiederrum im Regierungsprogramm für die 24. Gesetzgebungsperiode avisierte Gruppenklage sah eine Mindestklägeranzahl von 100 Klägern vor. Es ist davon auszugehen, dass sich für den österreichischen Gesetzgeber das Kollektivinteresse zumindest in einem zweistelligen Bereich bewegen wird.
Wer darf klagen?
Verbandsklagen können ausschließlich von qualifizierten Einrichtungen, die von den Mitgliedstaaten zu benennen sind, erhoben werden (Art 4). Welche Anforderungen an solche Einrichtungen zu stellen sind, obliegt den Mitgliedstaaten.
Nach dem deutschen Entwurf sind qualifizierte Verbraucherverbände, die in die Liste nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen sind und nicht mehr als 5 Prozent ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen, klageberechtigt (§ 2 Abs 1 VDuG). Demnach muss ua der Satzungszweck im Schutz von Verbraucherinteressen bestehen, der Verband muss mindestens 75 natürliche Personen oder mindestens drei im gleichen Aufgabenbereich tätige Verbände zu seinen Mitgliedern zählen, seit mindestens einem Jahr im Vereinsregister eingetragen sein sowie ebenso lange die satzungsmäßigen Aufgaben wahrnehmen und darf nicht gewerbsmäßig handeln.
Gruppenvertreter iSd Ministerialentwurfs 2007 konnte jede eigenberechtigte natürliche oder juristische Person sein. Es ist davon auszugehen, dass der österreichische Gesetzgeber von einer solch weiten Klagebefugnis Abstand nehmen wird. So sieht der österreichische Gesetzgeber bereits heute gewisse Einschränkungen für Verbandsklagen nach § 29 KSchG oder § 14 UWG vor (ua VKI, WKÖ, AK) und es ist deshalb anzunehmen, dass er auch in Bezug auf die VerbandsklagenRL gewisse “Schranken” hinsichtlich der Klagebefugnis einziehen wird. Nicht jeder selbsternannte Verbraucherschützer wird somit als klageberechtigte Einrichtung in Frage kommen.
Welche Verstöße sind umfasst?
Die VerbandsklagenRL erfasst ausschließlich Klagen, die sich auf Verstöße gegen in Anhang I enthaltene unionsrechtliche Verbraucherschutzbestimmungen beziehen. Anhang I stellt jedoch keine abschließende Auflistung dar. Es wird zukünftig auf EU-Ebene stetig geprüft, ob diesen 66 Rechtsakten (zB Datenschutz, Energie, Finanzdienstleistungen, Reiseverkehr, Tourismus, Telekommunikation) noch weitere hinzugefügt werden sollen.
Die taxative Aufzählung wird in der Literatur kritisiert, weil erfahrungsgemäß Verbraucherrechtsverstöße häufig auch nationale Rechtsvorschriften verletzten (insb Delikts- und Vertragsrecht) und sich dadurch entsprechende Rechtsschutzlücken auftun können. Um dies zu vermeiden, werden die Mitgliedstaaten (sh so zB Deutschland) den Anwendungsbereich wohl auf sämtliche zivilrechtliche Streitigkeiten im B2C-Verhältnis ausdehnen (müssen).
Wer ist zuständig?
Da die VerbandsklagenRL keine besonderen Regelungen hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit von Gerichten der Mitgliedstaaten trifft (Art 2 Abs 3), gelangen im Falle von grenzüberschreitenden Sachverhalten die Bestimmungen der Brüssel Ia-Verordnung zur Anwendung. Probleme sind hier vorprogrammiert, wobei deren Erörterung den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.
Zu fragen ist dennoch, ob der österreichische Gesetzgeber einen eigenen Weg iSd Ministerialentwurf 2007 gehen wird oder es bei einem Verweis auf die Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-Verordnung belässt (sh so zB Deutschland). So war in der Vergangenheit vorgesehen, dass, sofern die beklagte Partei im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hat oder mehrere Gerichte zuständig wären, der sachlich zuständige Gerichtshof erster Instanz im ersten Wiener Gemeindebezirk ausschließlich zuständig sein sollte (§ 621 70/ME 23.GP).
Way forward
Obwohl Österreich die Frist zur Umsetzung der VerbandsklagenRL versäumen wird, ist dennoch von einer Umsetzung in naher Zukunft auszugehen. Die VerbandsklagenRL lässt den Mitgliedstaaten einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Es bleibt abzuwarten, wie die konkrete Umsetzung durch den österreichischen Gesetzgeber aussehen wird. Eines ist jedoch klar: Die VerbandsklagenRL würde sich als Grundlage für eine tiefgreifende Reformation des Systems des kollektiven Rechtsschutzes in Österreich anbieten. Es stellt sich letztendlich die Frage, wie reformwillig der österreichische Gesetzgeber ist.
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